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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Paraguay sechs Wochen nach der Präsidentschaftswahl
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
01.06.08     A+ | a-
Niemand, den ich in den Wochen vor dem Wahltermin 20. April darauf ansprach  -  von der Marktfrau über den Taxifahrer bis zu Journalisten  und Freunden -  mochte ein Attentat gegen den Kandidaten Fernando Lugo ausschließen. Zu gewaltig erschien den meisten der Verlust an  jahrzehntelang angemaßter politischer Macht, an Privilegien und Pfründen, den die seit 61 Jahren herrschenden Colorados bei einem Wahlsieg Lugos würden hinnehmen müssen, als dass man ein auch noch so monströses politische Verbrechen nicht für denkbar gehalten hätte.
Jeder einem Schuss ähnelnde Knall, jede Explosion einer Rakete fuhr so manchem in die Glieder und wurde mit entsprechenden Assoziationen verknüpft  -  noch bis zum Schluss bei der Siegesfeier.
Einen deutlich sichtbaren Personenschutz für Lugo erlebte ich erst bei den letzten Massenveranstaltungen, da trug er sogar eine schusssichere Weste.
Gleichwohl wirkte das alles halbherzig und unprofessionell, ich konnte es ja viele Male „überprüfen“: Mit meinem selbst gebastelten „Presseausweis“ kam ich überall rein  -  und überall hin, bis auf Armlänge konnte ich dem Kandidaten auf die Pelle rücken.
Nur einmal wurde meine Gabe an Lugo, der kleine Hahn aus Stoff, auf Sprengstoff untersucht  -  per Befühlen.

Nun  -  nichts ist passiert. Aufatmen, bei manch einem auch Staunen: Waren die Colorados so sicher, ihre Siegesserie könne einfach nicht zu Ende gehen  -  oder fiel ihnen nichts „Originelles“ ein, um den Kontrahenten zum Schweigen zu bringen? Falls ja, war das jedenfalls eine überaus erfreuliche kreative Krise!

Und mehr noch: Staunend vernahmen wir im Fernsehen, wie die unterlegene Coloradokandidatin Blanca Ovelar rundweg ihre Niederlage eingestand. Auch der sonst zu verbaler Randale neigende Staatschef Nicanor Duarte Frutos trat durchaus gemäßigt auf! Wer hätte das gedacht?!

Die Chefin der „Wahl - Beobachtung -kommission der Organisation amerikanischer Staaten“, die Kolumbianerin  María Emma Mejía, stellte in ihrem Abschlussbericht  denn auch ein erstaunlich positives Zeugnis über den Wahlverlauf aus:
„Der Wahlprozess verlief befriedigend, obwohl wir das nicht für möglich gehalten hatten. Ein hoher Anteil der Bevölkerung, 66%, erfüllte in bürgerschaftlicher Verantwortung, ruhig und in geordneter Weise, seine demokratische Pflicht.“
Und weiter: „Die gewählten Autoritäten nahmen ihren Triumph gelassen auf, die unterlegenen Kandidaten ihre Niederlage mit Fassung.“
So weit, so gut. Bei der Beurteilung der Wahlfälschungen und der Rolle des „Obersten Wahlgerichts“ bleibt Mejías Bericht nebulös.
Klar ist, dass es Wahlfälschungen, unzulässige Beeinflussungen und Druck auf Wähler auch bei dieser Wahl gegeben hat.
Sie waren erstaunlicherweise aber nicht so massiv wie üblich (überwiegend dank der umfangreich getroffenen Kontrollvorbereitungen der „Alianza“), und zum anderen war Lugos Überlegenheit  ausreichend groß, um diese Manipulationen locker auszugleichen.

Etappensieg über „Calé“

Da wir gerade von Wahlbetrug reden: Einer der einflussreichsten und gleichzeitig korruptesten Politikers Paraguays, Juan Carlos („Calé“) Galaverna, hatte vor kurzem seine Beteiligung an Wahlbetrügereien -  im Jahre 1992 offensiv zugegeben, ja damit geprahlt. Er wurde jetzt wegen dieser Straftat  von seinen Senatorenkollegen für einen Monat von seinem Amt suspendiert, unter Einbehaltung der Bezüge.
Um die Finanzen des Mannes muss man sich am allerwenigsten sorgen, der hat durch allerlei illegale Geschäfte seine Schäfchen mehrfach im Trockenen. Geradezu sensationell aber ist eine solche, den Paraguayern bislang unbekannte Sanktion. Galaverna galt als einer der „intocables“, der von keinem Gesetz zu Belangenden.
Hier wurde zum ersten Mal seit der Wahl die allseits herrschende „impunidad“ , die gleichsam einen Wesenskern paraguayischer Politik ausmachende Straflosigkeit „für die da oben“, durchbrochen!
„ .....ein wichtiger Schritt hin zu einem Wechsel auf der politischen Bühne des Landes, wo immer die Straflosigkeit herrschte.“ So die derzeitige Opposition. Wirklich ein erstes kleines Anzeichen von Veränderung?
(Seinen letzten Geburtstag  hatte „Calé“ übrigens mit 4000 Gästen in geradezu obszöner Weise gefeiert. Diese Orgie hatte den Hass der Leute auf ihn angeheizt. Die Strafe hat einen hohen Genugtuungsfaktor für die gedemütigten Paraguayer.

Einige Tage, nachdem Lugos legendäre Sandalen, vulgo Jesuslatschen (ich habe vergeblich versucht, den deutschen Begriff als „Pantuflos de Cristo“ in Paraguay einzuführen) in Zeitungen wie ein Kultgegenstand  abgelichtet wurden (mit dem Ex-Bischof dran), war alle auch nur entfernt dem Original ähnelnde Fußbekleidung in Asunción ausverkauft.

Auch bei seinem ersten Besuch beim unterlegenen (Noch-)Staatschef Nicanor trug Lugo diese Sandalen, Nicanor interessierte sich offensichtlich für selbige, er beugte sich tief hinab und lag Lugo fast zu Füßen. Dabei mag er sich gefragt haben, wie einer mit solchem Schuhwerk ihn hat besiegen können ...
Wie schon bei anderen Anlässen zuvor, drängte sich auch hier das David – Goliath – Motiv wieder auf.

Über das Folklorische hinaus aber waren diese Besuche Lugos bei Nicanor (es folgte noch ein zweiter) etwas für viele Unerhörtes:
Da geht der Gewinner zum Verlierer, der übel Geschmähte zum Meister der üblen Nachrede.
Was hatte der Präsident nicht alles gegen den Herausforderer vom Stapel gelassen! Selten wurde ein politischer Gegner so beleidigt.
Und dann sieht man sie gemeinsam scherzen und über Sandalen reden.
Manche Lugo - Sympathisanten waren sauer. Wie kann er nur?!
So kann er es:
„Einige kritisieren, dass ich mich mit (General) Oviedo oder Nicanor treffe. Sie sind nicht meine Feinde, wir alle sind Paraguayer.
Nicanor ist Präsident der Paraguayer, ob er gut oder schlecht, verlogen oder ehrlich ist, er wurde 2003 vom paraguayischen Volk gewählt. Ich kann ihm seine Beleidigungen und Entgleisungen verzeihen. Ab dem 15. August bin ich Präsident aller Paraguayer, auch von Nicanor.“
Schlicht, vielleicht ergreifend, aber „wie ich den Mann kenne“  -  ernst gemeint!
Meine  -  zugegebenermaßen gewagte  -  Version ist die: Was Lugo aus christlicher Sicht geboten erscheint (Versöhnung, Verzeihensbereitschaft, ja Feindesliebe), kann politisch nicht falsch sein!

Soja
Die mächtige Lobby der Sojapflanzer frisst Kreide: Die bis dato dem unter strengem Sozialismus- verdacht stehenden Ex-Bischof kritisch bis feindlich gesonnenen Barone der Exportware Nummer 1 streben neuerdings „eine gute Beziehung“ zu ihm an! Donnerwetter!
Eine Abordnung besucht ihn im Quartier der „Alianza“, dem ehemaligen Bingopalast. Nach dem Gespräch mit Lugo sind sie beruhigt: „Ja, natürlich, wir waren sehr besorgt über manche Äußerungen aus der Umgebung Lugos, nicht aber durch Verlautbarungen von ihm selber. Jetzt haben die Dinge sich geklärt.“ Bingo!
Lugo hatte ihnen versichert, ihre Agroexportgeschäfte nicht zu beeinträchtigen, der Staat benötige dringend die so geschaffenen Werte. (Land- und Viehwirtschaft zusammen entsprechen fast der Hälfte der Wirtschaftskraft Paraguays). Wohl müsse dem Umweltschutz mehr Geltung verschafft werden, vor allem die zunehmende Verseuchung von Mensch und Umwelt durch sorg- bis gewissenlosen Einsatz von gefährlichen Spritzmitteln müsse aufhören, auch habe die kleinbäuerliche Landwirtschaft  in seinem Regierungskonzept eine gleichrangige Bedeutung.
Durchaus ungeklärt ist die von Lugo und seinem bereits nominierten Agrarminister Dionisio Borda angekündigte erhöhte Abgabe pro Tonne Soja (eine Art Mehrwertsteuer), da werden sich die „sojeros“ womöglich noch wundern....
Gleichwohl: der Pragmatismus des Neuen ist enorm, da sind nicht nur keine Berührungsängste, er sucht offensiv das Gespräch mit allen.
Den linken Gruppierungen der „Alianza Patriótica para el Cambio“ wird ganz flau beim Zuschauen ....

Die höchsten Wachstums -raten, neben der Soja, verzeichnet die Kriminalität in Paraguay, sowohl die „gewöhnliche“ als auch die organisierte Variante. Mit den Kriminalfällen allein dieser vergangenen Woche könnte ich locker die nächsten 5 Seiten füllen. Es sieht ganz so aus, als wolle Paraguay wenigstens auf diesem Gebiet dem ansonsten in jeder Beziehung überlegenen Nachbarn Brasilien Paroli bieten. Dennoch  -   Asunción ist (noch nicht) Rio de Janeiro! Vielleicht gibt es aber trotzdem bald diese Variante eines alten Politwitzes:
„Schon gehört? Paraguay ist bei der Kriminalität Südamerikas von Platz 5 auf Platz 3 vorgerückt!“        „Und wie kommt´ s?“
„Sie haben die zwei Plätze dazu gekauft ....“

Die Befürchtung ist groß, den zu trauriger Berühmtheit gelangten Verbrechensstandort Paraguay nicht wirkungsvoll säubern zu können.
Aber auch die Sorge vor politisch motivierten Verbrechen, in erster  Linie gegen das eigene Lager, ist keinesfalls ausgestanden. Lugo meint dazu: „Wer von der Macht lassen muss, gibt seine Privilegien nicht kampflos auf. Das wird nicht einfach für uns, das zeichnet sich bereits ab. Aber entweder verzichten sie auf ihre Vormachtstellung oder aber sie bleiben außen vor.“
Ihm ist bewusst, dass er verstärkt gegen alle Arten der Kriminalität vorgehen muss  -  etwas, an das er überhaupt nicht gewöhnt ist. Das wird um so schwieriger, da u. a. die Medien die Verbindungen zwischen Polizei, Justiz, Politik und Drogenkartellen eindrucksvoll belegt haben.
Er weiß, dass er diese etablierte Szene frontal angreifen muss, wenn er den Bürgern „ein gesundes Land zurück geben“ will.

Wie sieht er seinen Sieg, wie lange dauert es, die 61jährige Herrschaft der Colorados abzuschütteln?
„Mein Sieg ist nichts anderes als der Wille der Mehrheit, mit einem System aufzuräumen, das einer Minderheit nutzte und der Mehrheit geschadet hat. Das war kein einfacher Wechsel, denn wir standen mit der Coloradopartei im Wettbewerb, die das ganze Land mit ihren Strukturen durchsetzt und eine enorme wirtschaftliche Macht hat.“

Hat!   Präsens  -  wohl gemerkt!

Die Drogenmafia hat das Wahlergebnis noch nicht verstanden

Am Samstag Abend, 24. Mai, wird in Pedro Juan Caballero im NO Paraguays an der Grenze zu Brasilien der Gewerkschafter Eloy Villalba von zwei Mördern mit neun Schüssen in seiner Wohnung getötet.
„Tekojojá“, die politische Gruppierung, aus der Lugo stammt, beschuldigt den berüchtigten Coloradoabgeordneten aus dem DepartamentoConcepción, Magdaleno Silva, der geistigen Urheberschaft dieses Verbrechens.
Silva ist „narcoganadero“, ein Viehfarmbesitzer mit „Nebenerwerb“ aus Drogengeschäften.
Villalba war sozialer und politischer Aktivist für die Rechte der Campesinos und zuständig für Verhandlungen von Landlosen mit der Departamentsregierung.
„Genau zu dem Zeitpunkt, als er eine Auseinandersetzung mit diesem  Abgeordneten des Staates, dem Drogenhändler Magdaleno Silva, hat, wird Villalba durch zwei Auftragskiller umgebracht. Mit der Ermordung des Bauernführers sollen auch die sozialen Probleme kaschiert werden, die im Land herrschen ....“. so aus einem Kommunique von Tekojojá
(s. u.).
 
Goldene Eier

„Las gallinas de los huevos de oro“, die Hühner mit den Goldeiern  -  das sind die klassischen staatlichen Selbstbedienungsläden wie Post und Fernmeldewesen, Zoll -behörden, Bauministerium, Hafenverwaltung und die staatliche Erdölverwertung.
Hier wurden in der Vergangenheit immer nur die handelnden Personen ausgetauscht, die dann jeweils die goldenen Eier der Wunderhühner einsammelten.
Die neue Regierung will die Korruption frontal angehen, die Institutionen stärken, einen, „präventiven Politikstil“ sowie transparentes administratives Handeln statt heimlicher Absprachen üben und nicht mehr zulassen, dass ganze Politikbereiche sich in den Händen bestimmter politischer Gruppierungen befinden.
Eine „Comisión de Transición“ mit verschiedenen Arbeitsgruppen soll Daten erheben, die Ausgabenkontrolle prüfen, einen Kassensturz vornehmen und sich an der Aufstellung des Etats 2009 beteiligen.

„Tekojojá“ (Gleichberechtigung), als politische Bewegung Teil der „Alianza Patriótica para el Cambio“ (APC) und politische Heimat des neuen Präsidenten, besteht seinerseits aus diversen, vorwiegend linken Gruppen.

Sixto Pereira ist einer der führenden Köpfe von Tekojojá und war im Wahlkampf engster Verbündeter an der Seite von Fernando Lugo.
Über 15 Jahre war Sixto auch mit der Pro Paraguay Initiative „verbündet“, wir haben viele Projekte auf dem Land mit seiner NGO „Centro de Capacitación de Desarrollo Agrícola“ (Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung) realisiert und auch in Zeiten politischer Verfolgung solidarisch an der Seite Sixtos und seines Team aus Landwirtschaftsfachleuten gestanden, die alle auch als politische Veränderer handelten (und oft „behandelt“ wurden).

Als Senator für Tekojojá gewählt, zieht unser Partner nun in die neue Volksvertretung ein und will dort die Lösung der großen sozialen Probleme Paraguays, vor allem auf dem Land, voran treiben.
Sein „Einstand“, schon jetzt öffentlich bekannt gegeben:
Verzicht auf 50 % seiner Senatorendiäten, den neuen Kollegen im Senat zur Nachahmung empfohlen. Das eingesparte Geld soll zweckgebunden und nachweislich für Projekte der Armutsbekämpfung verwandt werden.

Zur Person Sixtos und seiner politischen Einstellung hier ein Interview mit ihm in der Tageszeitung „Ultima Hora“:

Sixto Pereira: „Wir werden eine Art Projektion der zivilen Organisationen im Parlament sein und die Notstandsthemen auf nationaler Ebene forciert angehen. Keine leichte Aufgabe, müssen wir doch das alte System durchbrechen, in dem eine Gruppe die andere unterstützt, um bei nächster Gelegenheit den gleichen Dienst zurück zu fordern.“

UH: „Wie wird eure Strategie aussehen  angesichts eurer Minderheitsposition?“

Sixto: „Wir werden diese  großen nationalen Themen auf die Tagesordnung setzen, ohne gegen die eine oder andere politische Partei zu kämpfen. Vielmehr werden wir den Konsens in der Sache suchen, um Lösungen für alle zu finden.“

UH: „Welches sind z. B. die großen Themen?“

Sixto: „Zum Beispiel die Wiedererlangung unserer Unabhängigkeit im Energiesektor, durch Gerechtigkeit bei den Preisen für unseren Stromanteil in den Kraftwerken Itaipú und Yacyretá.
Keine Exklusivabkommen mehr, weder im staatlichen noch im privaten Sektor, mit ausländischen Konzernen, wie in Bolivien beim Gas oder in Ecuador beim Kupfer seinerzeit geschehen.
Wir müssen die Ernährungssouveränität wieder erlangen, indem wir die kleinbäuerliche Landwirtschaft stärken, mit allen Produkten für eine ausreichende Selbstversorgung der Familien.“
UH: „Das zielt auf einen Sozialismus ab.“
Sixto: „Das sind weder sozialistische noch kommunistische, sondern patriotische Maßnahmen, es geht darum, die Unabhängigkeit von den Transnationalen zurück zu gewinnen, die zu weiteren Gesellschaftern´ werden. Warum eigentlich bekommen    sie den größten Gewinnanteil?“

UH: „Gibt das nicht Krach mit den Liberalen, ihren Verbündeten aus der ´Alianza´?“ Wer kriegt das Fleisch aus der Suppe?

Sixto: „Jeder muss begreifen, dass über allen Privat - oder Partei -interessen diejenigen des Staates stehen. Auch müssen alle bedenken, dass die große Mehrheit unserer Wähler die Armen des Landes sind.
Für sie gilt es zu arbeiten und Gesetze zu machen.
Es muss endlich eine echte Diskussion über soziale, ökonomische und Umweltprobleme in Gang kommen, Ziel ist der soziale Rechtsstaat unter dem schützenden Dach unserer Verfassung.“

UH: Wie hältst du es mit der Landfrage?

Sixto: Zur Zeit finden, vor allem im Departament San Pedro, wieder viele Landbesetzungen statt, und die Frage nach ihrer Rechtmäßigkeit  -  oder zumindest ihrer Rechtfertigung  -  ist einer der Konfliktpunkte der Allianz und womöglich Gradmesser ihrer Regierungsfähigkeit.
Lugo hatte in einer Rede im Inland den „sintierras“, den landlosen Kleinbauern, seine Sympathien und seine Unterstützung zugesichert.
In Richtung auf seinen liberalen Vize Federico Franco, der von Lugo eine deutlichere Positionierung zu den Landbesetzungen eingefordert hatte, sagte er:
„Ich habe einen festen Standpunkt, der sich an der Verfassung ausrichtet. Er (Franco) bezieht sich auf den Abschnitt, welcher den Privatbesitz verteidigt. Ich verteidige, ebenso energisch und mit der gleichen Intensität, den anderen Passus, in dem von dem Recht eines jeden Bürgers dieses Landes die Rede ist, auf einem eigenen Stück Land zu leben und zu arbeiten. Wer mir einen `doppelten Diskurs´ vorhält, müsste das gleiche auch von der Verfassung sagen.“

Lugo sieht in den unterschiedlichen Vorstellungen innerhalb der „Alianza“ bezüglich der Landfrage  -  einschließlich der Differenzen zwischen seinem liberalen Vize Franco und ihm  -  eher eine Chance, sich auf die „besten Lösungen“ zu verständigen als die Gefahr, in einer „Sackgasse“ zu landen.
In einem “informativen Workshop“ in Asunción mit den wichtigsten Vertretern sowohl der Landeigner als auch von Campesino –Organisationen und mit Fachleuten aus Bolivien, Brasilien und Mexiko wird Ende Mai das Thema diskutiert, um „die für unser Land am besten geeignete Landreform zu entwerfen, eine praktizierbare, realistische, das ganze Landspektrum umfassende. Eine Reform ohne Gewalt, die keine Traumata hinterlässt und durch ihre Ernsthaftigkeit die Basis für einen friedlichen Konsens in der Zukunft vorbereitet.“

UH: Wird Lugo das schaffen?

Sixto: Als habe der Wahlsieg am 20. April auch einigen Presseleuten frischen Wind unter die Flügel gegeben, erscheint in der wichtigen „abc-color“ in selten erlebter Kühnheit ein Editorial zur Landproblematik im allgemeinen und zu den Landbesetzungen im besonderen.  

Legal zwar nicht zu rechtfertigen, aber durchaus verständlich sei Lugos Position zur Lage der Campesinos ohne Land, wenn er ihre Besetzungen als letztes Mittel erkläre, um einer „alten, schwerwiegenden und grausamen Wahrheit“ Gehör zu verschaffen.
In der Tat dringt nur auf diese Weise (und weil die Presse darüber berichtet) das ländliche Drama ins öffentliche Bewusstsein, ein tägliches Drama, das viele Tausende Kleinbauern ohne Land und ihre Familien seit Jahrzehnten zu einem elenden Leben verurteilt  -  und das durchaus unbeachtet von Medien, Regierung und Gesellschaft.
Die meisten Betroffenen schlucken ihre Ohnmacht und Bitterkeit herunter: Wie oft sind sie zu den staatlichen Stellen gepilgert, um ein Stück Land zu bekommen?! Hunderte von Malen in mehr als 60 Jahren!
Und genau so oft sind sie vertröstet, d. h. belogen worden, während gleichzeitig der Präsident, „Papacito“ Nicanor Duarte Frutos, Hunderttausende von Hektar fruchtbaren Landes illegal sich selber, seiner Familie, Verwandten und seiner Clique zugeschustert hat!
Niemanden hat das schreiende Unrecht gegen die Landbevölkerung  je interessiert. Von den Landbesetzungen mögen 100 oder 200 Besitzer betroffen sein, aber die große Mehrheit der Bevölkerung und ihre Organisationen nehmen diese Problematik nicht zur Kenntnis, sie reagieren erst, wenn sie selber von irgend etwas betroffen sind.
Allen Coloradoregierungen der letzten 60 Jahre war das Elend dieser großen Zahl ihrer Mitbürger gleichgültig, sie blieben untätig, waren unfähig. Uns so existieren bis heute keinerlei verwertbare Grundlagen, um das Problem angemessen anzugehen, in einem Wort: Auch nach 60 Jahren Reden über das Problem weiß der normale Paraguayer nichts über das Problem der „Campesinos ohne Land“ (Dieses Phänomen gleicht auf genaueste der Unkenntnis des gewöhnlichen Bundesbürgers über die „Arbeitslosen“).
Die Großväter und Väter dieser Kleinbauern haben schon auf Lösungen gewartet. Vergeblich: Ca. eine Million von ihnen flicken heute Autoreifen, bewachen Autos oder üben die allerletzten Hilfsdienste zu Hungerlöhnen aus  -  in Argentinien!!

UH: Wie lief das eigentlich in den letzten 60 Jahren mit der Landfrage?

Sixto: Da wurde nicht verteilt zwischen Akteuren irgendeiner „Landreform“, welche diesen Namen verdient hätte, sondern nationale und örtliche Coloradofürsten und „Caudillos“  -  und manchmal auch noch einige Auserwählte aus Parteihörigen  -  verteilten Riesenflächen „unter sich“.

Ganze Clans von Mitgliedern der Regierungsjunta verwandelten sich in Großgrundbesitzer und „estancieros“, bekamen das Land von selbst ernannten Besitzern geschenkt, in welches sie anschließend das dem Volk geklaute Geld investierten.
Und das sparsam, denn sie nutzten klug das öffentliche Personal für ihre Arbeiten, die Maschinen und den Treibstoff des Bauministeriums.
Arme, unwissende und abhängige Campesinos passten ideal zu diesem Modell.
Als die 1989 die Diktatur fiel, blieb die Situation der Campesinos unverändert, die gleichen Angriffe auf die Würde von Hunderttausenden wehrloser Bürger Paraguays  -   und auch in diesen letzten 20 Jahren  hat´s niemanden wirklich interessiert.
Auf dem Papier der Verfassung (1992) haben diese Campesinos, die Land fordern, um ihre Familien zu ernähren und eine bessere Zukunft anzustreben, alles Recht auf ihrer Seite.
Auch ein nur  minimales Gefühl für wirtschaftliche Gerechtigkeit legt nahe, dass sie vom Staat Hilfen zur Verwirklichung ihrer Ziele erhalten.
Der Staat müsste diesen Prozess organisieren und leiten, statt dessen gab es immer nur das Erkaufen von Wählergunst, Betrug und Vetternwirtschaft, und auch auf Seiten der organisierten Campesinos gab es so manchen untreuen und korrupten „Führer“.
Das Resultat betrifft heute alle Paraguayer: Gewaltsame Landkonflikte, Auseinandersetzungen zwischen sozialen Gruppen, Verluste von Gütern, Absinken der Produktivität, fehlende Investitionsbereitschaft, Stagnation neuer Projekte.
Aus Sicht Lugos  -  noch stärker akzentuiert bei den linken Gruppen aus dem „Alianza“-Spektrum  -  haben die Landbesetzungen ihre Ursache in wachsender Verzweiflung der Campesinos, nur so können sie die Aufmerksamkeit auf ihre chronischen Probleme lenken.
Sie zu lösen wird größtes Geschick von Lugo erfordern, ein gehöriges Maß an Kompromissbereitschaft  -  und ein klares Programm!
Wird er, bis er am 15. August die Regierungsgeschäfte aufnimmt, die revoltierenden Campesinos zur Ruhe mahnen?
 
Der „abc-Redakteur meint: „Wer die Besetzungen kritisiert, sollte erklären, welche Lösung er anzubieten hat.
Und für wann  -  denn die Kinder der Campesinos haben Hunger wie unsere Kinder und werden krank wie die unsrigen.“

Wird die neue Regierung funktionieren?

„Sie muss!“, hat Pater Oliva einem Mann geantwortet, der ihn von der anderen Straßenseite aus ansprach. Mehr konnte er dem Mann nicht mehr zurufen. Für uns ergänzt der Jesuitenpater:
„Es ist notwendig, dass die neue Regierung funktioniert. Schlechter kann es nicht mehr werden. Jetzt ist die Gelegenheit, die Dinge im Land zum Besseren zu wenden.“
Was ist schlichter, diese Antwort vom padre  -  oder die Dürftigkeit all der Mahnungen, all der pessimistischen Vorhersagen und der schlauen Begründungen, warum ein Scheitern unvermeidlich ist?
Ich weiß es nicht, höre aber allerorten immer die gleichen kleinmütigen Kommentare. Die abzugeben, ist jedenfalls die leichtere Übung als konstruktiven Optimismus zu wagen. Ich bin auch mal kleinmütig:

„Wie soll das bei der Opposition gelingen?“

„Auch die Opposition muss funktionieren, da fürchte ich allerdings, dass es da Probleme geben wird. Natürlich werden einige darunter sein, die versuchen, die Staatskasse leer zu räumen, sich schützend vor die
großen Korrupten stellen und versuchen, soziale Unruhen zu schaffen, um der neuen Regierung Probleme zu bereiten.“

„Nicht besonders optimistisch, Herr Francisco Oliva!“

„Dennoch müssen sie eine gute Opposition machen wollen, wenn sie Demokraten sind, das ist die Entscheidung der Mehrheit gewesen, die auf den Wechsel gesetzt und Fernando Lugo damit beauftragt hat.“

„Aber wird dieser Lugo funktionieren als Regierungschef?“

„Ja, wenn sie ihn lassen. Ja, wenn er die Klugheit besitzt, seine Genossen aus der Wahlkampagne beharrlich zusammen zu halten.
Wenn er die Klugheit besitzt, sich von einem Team der besten Fachleute und Arbeiter beraten zu lassen. Wenn er es schafft, kraftvoll und zum richtigen Zeitpunkt zu handeln.
Alle Paraguayerinnen und Paraguayer aber müssen wissen, dass dieser Wechsel jeder und jedem von uns eine Portion Opfer abverlangen wird.“

Einstweilen kann ich mit dem vorsichtigen Optimismus des 80jährigen Francisco Oliva besser Schluss machen.

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